1962 fanden im damals noch Städtischen Museum Wiesbaden die Fluxus – Internationalen Festspiele Neuester Musik statt – und kulminierten in der legendären Zerstörung eines Konzertflügels. Was als Affront gegen bürgerliche Traditionen wahrgenommen wurde und bis heute in Erinnerung blieb, entwickelte sich zur Quelle weltweiter bahnbrechender Umbrüche in der bildenden Kunst.
Anlässlich des 60. Jahrestages dieser als Geburtsstunde von Fluxus in die Kunstgeschichtsschreibung eingegangenen Wiesbadener Konzerte entspringt ab dem 14. Juli 2022 im Nassauischen Kunstverein ein mäandernder Fluss von Ausstellungen. Wie in einem musikalischen Kanon überschneiden sich historische und zeitgenössische Melodien, Stimmen und künstlerische Positionen.
Die im „Piano Nobile“ des Kunstvereins von Sari Dienes, Esther Ferrer, Dorothy Iannone, Alison Knowles, Charlotte Moorman, Ann Noël, Takako Saito und Carolee Schneemann gestalteten Klaviere, Konzertflügel und Cellos der Sammlung Archivio Conz verwandeln den Ausstellungsraum in einen optischen Klangkörper. Sie werden umrahmt von kleineren Kabinettausstellungen. So zeigt ein Mary Bauermeister gewidmeter Raum sehr frühe und persönliche Werke der als „Mutter Gaia“ des Fluxus geltenden Künstlerin. In Kooperation mit Yoko Ono und Takako Saito entstanden, laden zwei weitere Räume spielerisch dazu ein, in Poesie und Politik von Fluxus einzutauchen. Während die Literatur zu Fluxus stets die erstmalig gleichberechtigte Präsenz für Künstlerinnen hervorhebt, belegen 60 Jahre Ausstellungsgeschichte dennoch ihr weitgehendes Verschwinden, Übersehenwerden oder auch Verschlafen. Wie einem Kaleidoskop erscheinen nun in einer partizipativ gestalteten Rauminstallation die Vielstimmigkeit und Virtuosität der Künstlerinnen innerhalb des offenen Ausstellungs- und Rechercheprojekts FLUXUS SEX TIES / Hier spielt die Musik!
Parallel werden die historischen durch zeitgenössische Positionen ergänzt. Während Ann Noël mit ihrem Textbuch The Gospel According to St. Ann, das auf ihren akribischen Tagebucheinträgen basiert, bisher unbekannte Fluxus-Geschichten und Erinnerungen darstellt, zeigt Andrea Büttner in ihrer 5-Kanal-Videoinstallation Piano Destructions die (kunst-)historische Geschlechterdichotomie bild- und klanggewaltig auf. Mit einem schimpfenden Chor versetzt Andrėja Šaltytė Besucher:innen musikalisch in die Jetztzeit und hinterfragt die Politisierung von Sprache und Räumen mit ihrer jüngsten Videoarbeit Kijewer Zunge / Ich rufe Sie nicht dazu auf, die unflätige Sprache zu benutzen. Gott bewahre!