Benjamin Patterson / When Elephants Fight, It Is The Frogs That Suffer – A Sonic Graffiti (2016-2017)

Bernd Schultheis (Realisierung),
in Kooperation mit dem Nassauischen Kunstverein Wiesbaden /
E. Gruhn & B. Patterson, 2017

"Meine Stücke, wie sie auf dem Papier erscheinen, haben weder materiellen noch abstrakten Wert. Einen Wert können sie nur in der Aufführung erreichen, und auch dann nur den persönlichen Wert, den der Teilnehmende selber seinem eigenen Verhalten und/oder dem der Gemeinschaft während und/oder nach der Erfahrung zumisst. Tatsächlich ist jedes Stück nur dies: eine Person, die bewusst dies oder das tut. Jede/r kann das tun.†1 
Benjamin Patterson

Der US-amerikanische Fluxus-Künstler Ben Patterson (Pittsburgh 1934 - 2016 Wiesbaden) wurde noch zu Lebzeiten von Adam Szymczyk, dem künstlerischen Leiter der documenta 14 eingeladen und konnte umfassende Teile seiner Soundinstallation vor Ort in Athen und Kassel vor seinem plötzlichen Tod konzipieren und planen. Der Nassauische Kunstverein Wiesbaden, mit dem Patterson seit Jahren eng verbunden war, hat in Kooperation mit seiner Tochter die Umsetzung der erträumten Arbeit übernommen. Realisiert wurde die Klanginstallation von dem Berliner Komponisten und Instrumentalisten Bernd Schultheis. Eine Maxime bei Fluxus ist generell das Negieren eines (musealen) Endproduktes, welches eine künstlerische Ausdrucksweise prägt, wohingegen der Weg dorthin von deutlich größerer Bedeutung ist. So entsteht das Kunstwerk erst im Kopf des Rezipienten; sichtbar bleibt am Ende häufig nahezu nichts.

Inspiriert von der überwältigenden Präsenz der Graffitis im gesamten Stadtraum des vibrierenden und gleichzeitig prekären Athens träumte Ben Patterson von einer „Symphonie quakender Frösche"2 in der Form eines, wie er es selbst nannte „Sonic Graffiti“ (Klang-Graffiti), das aus Überlagerungen und Durchmischung von natürlichen Froschtönen, versteckten politischen Botschaften und philosophischen Weisheiten mit Hilfe von Chören entstehen sollte. Ausgehend von Pond, eine seiner sehr frühen eigenen Partituren von 1962, dem Initialjahr von Fluxus bezog er sich auf zwei weitere künstlerische Quellen: Der Froschkönig (Gebr. Grimms Kinder- und Hausmärchen Nr. 1, 1812 herausgegeben) und Aristophanes Komödie Die Frösche (405 v. Chr. im Athener Dionysischen Theater uraufgeführt). Mit dieser implizierten Zeitreise befördert Ben Patterson seine Rezipienten in einen Zeitraffer der westlichen Kulturgeschichte.

Während im Garten des Byzantinischen und Christlichen Museums Athen seit Beginn der documenta 14 das Sound-Graffiti When Elephants Fight, It Is The Frogs that Suffer als 24-Kanal-Klangfeld mit 16 getarnten Lautsprechern erstmalig erklingt, bildet in Kassel der Küchengraben mit einer angrenzenden Liegewiese in der Parkanlage der Karlsaue mit Blick auf die barocke Orangerie, den Orchestergraben. Hier ertönt die Froschsymphonie ab dem 10. Juni 2017 ebenfalls für 100 Tage.

Die Kulisse für das Sonic Graffiti in Athen bildet das geografisch und ikonografisch stark geprägte Gelände in enger Nachbarschaft der National Gardens und dem direkt angrenzenden Athener Konservatorium Odeion, einem der vier Hauptausstellungsorte der documenta 14 in der griechischen Metropole. Doch vor allem in direkter Nachbarschaft zu Aristoteles’ Lykeion befindet sich die mit archäologischen Ausgrabungen erst kürzlich von der Architektin Anestei Parisi neu zu einem Museum unter freiem Himmel angelegte Grünanlage, mit ihren künstlichen, in Beton gefassten Wasserläufen, Brücken und Becken in den Ausläufen des heute oberirdisch ausgetrockneten Flussbetts des Ilissos. Auf den Pfaden zu dessen Ufern wandelten einst, so sagt es die Legende, Aristoteles und andere Philosophen seines Lyzeums, um ihren philosophischen Gesprächen flanierend nachzugehen, während heute die Lärmkulisse der umrahmenden, mehrspurigen Straßen eine Unterhaltung nahezu erstickt und jede Vorstellung von antiker Idylle zunächst ad absurdum führt. Als Indikator zeitgenössischer Mobilität umrahmen diese Verkehrsachsen die idealisierte Landschaft, in deren künstlicher Idylle der Gesang einer neuartigen, synthetischen Froschpopulation zum Philosophieren und zum Entdecken des „inneren Frosches3 einlädt. In mitten des Flusses lag an der Stelle des heutigen Gartens die Froschinsel Vatrachonisi.

Bereits seit der Antike galten Frösche als ein wichtiges Symbol der Fruchtbarkeit und der Prosperität. Für die Fluxuskünstler war der Frosch symbolhaft belegt, so wollte der selbsternannte Fluxus Chairman George Maciunas (1931-1978) als Frosch wiedergeboren werden. Zivilisation und Natur treffen in dem aus acht Klangfarbschichten bestehenden Graffiti in Kombination mit der Geräuschkulisse des Installationsortes in ihrer Klangkombinationen aufeinander. In Kassel hingegen wurde der akustische Froschteich gegenüber der Kunsthochschule von Paul Friedrich Posenenske (1919-2004) unmittelbar am Küchengraben in der magischen Ruhe der Karlsaue realisiert. Hier, idyllisch und doch in mitten eines absolutistisch-barocken landschaftsarchitektonischen Eingriffs, erklingen die Gesänge vis-à-vis der imposanten Orangerie, deren Optik an ein idealisiertes Märchenschloss erinnert.

Beide von den Fröschen längst verlassenen Orte in Athen und Kassel sollten mit ihnen nicht nur wieder akustisch re-popularisiert werden, sondern Ben Pattersons Vorstellung war es, dem Flanierenden, versteckt zwischen den reichhaltigen Klangfarben der acht nativen Froscharten, auch die eine oder andere Botschaft zu übermitteln. Die Froschtöne, die Ben Patterson ursprünglich selbst aufnehmen wollte, wurden von der Initiative Frogs & Friends e.V., die sich mit neuen medialen Möglichkeiten für den Schutz und Erhalt von Amphibien einsetzt, für dieses Werk freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Für das Projekt wurden ausgewählte Textpassagen der beiden genannten literarischen Quellen, sowie onomatopoetische Froschlaute in verschiedenen Sprachen – von drei Chören in englischer, griechischer und deutscher Sprache in Kooperation mit Deutschlandradio Kultur Berlin – aufgenommen. Alle Text- und Sprachfragmente wurden in der Komposition mit den Stimmen der acht natürlichen Froscharten übermalt und schließlich mit Zitaten und Originaltönen aus dem umfangreichen Archiv Ben Pattersons rhythmisch kombiniert, ausgeweitet oder auch bis zur Unkenntlichkeit überlagert. Während die politischen Zitate aus Aufnahmen ihres jeweiligen Originalkontextes stammen, rezitiert die britische Künstlerin Ann Noël, Witwe von Pattersons engstem Fluxus Freund Emmett Williams (1925-2007), Weisheiten antiker Philosophen für das collagierte Klangbild eines natürlichen Teiches. Diese verschiedenen Klangfarben und Texte wurden zusammen mit den menschlichen Froschtönen wie Tags in das Sonic Graffiti akustisch „eingesprüht“.

Neben den Fröschen als nativen Vertretern der verlorenen natürlichen Fauna des Environments verbindet sich mit dem Thema der Frösche, das Patterson schon seit seiner Kindheit als Pfadfinder und in der Folge in seiner künstlerischen Arbeit durchgängig  begleitete, auch seine Gedanken zu politischen, gesellschaftlichen und zivilisatorischen Fragen zu einer dichten Collage. Der Titel, das griechische Sprichwort afrikanischen Ursprungs „Wenn Elefanten streiten, leiden die Frösche“, wurde von verschiedenen Medien in der Kommentierung der sogenannten Finanzkrise Griechenlands zitiert.4 In Zeiten von ungebremsten Kapitalismus, Neoliberalismus und diversen (finanziellen) Krisen wird die Gesellschaft der „kleinen Leute“ zunehmend überrollt, erdrückt und vernichtet – machtlos gegenüber den übermächtigen Systemen und deren internen Konflikten. Dabei waren es doch gerade die kleinen Amphibien-Wesen, die durch ihren mutigen „Ur-sprung aus dem Wasser“ menschliches Leben auf diesem Planeten überhaupt erst ermöglicht haben.

Die erste Referenz seiner Idee gilt der sehr frühen eigenen Partitur Pond, die häufig auf Fluxus- und anderen Performance Veranstaltungen aufgeführt wurde und auf dem Konzept der Chance Operation von John Cage (1912-1992) basierte. Ein auf den Boden gezeichnetes Gittersystem bildet die Ausgangsfläche seiner Partitur für acht Performer mit jeweils drei Tönen (Frage / Antwort / Ausruf) und zwei Metallaufziehfröschen. Die nicht synchronisierten Stopps der nicht perfekten, mechanisch hüpfenden Frösche geben das Signal an die Performer ihre Laute auszustoßen, bis schließlich das Klangfeld eines Froschteiches am Abend entsteht. Die Systematik und Struktur wird im weiteren Verlauf als strukturelles Grundsystem für die Komposition herangezogen. 2012 formulierte Patterson, veranlasst durch seine Entdeckung einer Internetseite, die 68 onomatopoetische Froschlaute der verschiedenen menschlichen Sprachen aufführt, ein „Ponds (Up-dated)“ seiner Performance zu notieren.

Frogs & Friends e.V. vermittelte neben den natürlichen Froschgesängen den Kontakt zum Komponisten und Instrumentalisten Bernd Schultheis. Mit dessen Erfahrungsfeld in der Improvisation, sowie vor dem Hintergrund seiner rekonstruierten, historischen (Orchester-) Musiken und dem Glücksfall seiner jüngsten intensiven Auseinandersetzung mit Froschstimmen, die er aufgenommen, gesammelt und zu einer wissenschaftlichen Hörstation entwickelt hatte, waren wichtige Vorraussetzungen für die Realisierung des Projektes gegeben. Ihm war Ben Pattersons musikalisches Werk teilweise bekannt, jedoch hatte er weder Patterson persönlich kennengelernt, noch mit ihm zuvor gearbeitet, ein Vorteil, um nicht eingeübte Muster zu reproduzieren. Die von Ben Patterson notierten Anweisungen waren so klar und unmissverständlich formuliert, dass es nicht schwerfiel sie prinzipiell umzusetzen und damit seine Autorschaft klar herauszuarbeiten.

Nach intensiver Analyse der Arbeit Pattersons gelang es einen Zugang zu den Ideen und dem Material zu entwickeln. Aufnahmen realer Froschstimmen bildeten den Ausgangspunkt und das Grundmaterial der Arbeit. Acht Froscharten waren an beiden Orten identisch: Teichfrosch (Pelophylax esculentus), Seefrosch (Pelophylax rebundus), Kleiner Wasserfrosch (Pelophylax lessonae), Laubfrosch (Hyla arborea), Springfrosch (Rana dalmatina), Moorfrosch (Rana avalis), Grasfrosch (Rana temporaria) und die Wechselkröte (Bufotes viridis). Dazu kamen in Athen der Balkanwasserfrosch (Pelophylax kurtmuelleri) und in Kassel die Rotbauchunke (Bombina bombina). Frösche haben keine Dialekte. Die Rufe sind genetisch kodiert und innerhalb einer Art überall auf der Welt gleich. Die Komposition des Froschkonzerts, die Idee einer „symphony of croaking frogs5 ist trotz Verwendung von originalen, natürlichen Feldaufnahmen der Frösche tatsächlich ein Artefakt, eine Montage, wie sie in der Natur niemals erlebbar wäre und wurde vielmehr nach klanglichen und musikalischen Notwendigkeiten komponiert. Seine Pulse bildeten das Raster für die Entwicklung der gesamten Komposition, den strukturell ineinander verschachtelten Schleifen (Loops) auf acht unterschiedlichen Ebenen:

/ Froschstimmen von Feldaufnahmen realer Frösche
/ Froschstimmen von Chören imitiert
/ Froschstimmen von Kindern imitiert
/ Die Frösche, Aristophanes: Chöre (in deutscher, griechischer und englischer Sprache)
/ Der Froschkönig, Gebr. Grimm: Chöre (ebenfalls in den drei Sprachen)
/ Aufnahmen von Ben Pattersons Stimme, Musik aus dem Archiv von Ben Patterson
/ Aufnahmen von Ben Patterson aus dem existierenden Vorbereitungsmaterial für dieses Werk
/ Sammlung politischer Statements, Sprüche und Sprichwörter.

Die Komposition orientiert sich formal an Zahlen und Proportionen, die im Werk Pattersons häufig zu beobachten sind. Die Zahl 8, sowie Vielfache davon, spielt eine konstituierende Rolle. Acht Ebenen der Komposition, eine Klanginstallation auf 24 diskreten Kanälen, werden über 16 (Athen) bzw. 24 (Kassel) Lautsprecher wiedergegeben. Die Multiplikatoren 1, 2 und 3 wurden als Zahlen aus dem Werk Pond (1962) entlehnt, wo diese die Anzahl der Silben bemisst, aus denen ein jeweiliger Ausruf der Teilnehmer zu bestehen hat.

Eine deutliche Referenz zu den geografischen Austragungsorten der documenta 14 Athen und Kassel bilden die beiden literarischen Quellen – der Bezug zur Stadt Kassel und den Gebrüdern Grimm mit deren weltberühmten Sammlung der Kinder- und Hausmärchen, an deren erster Stelle sich der Text Der Froschkönig (und der eiserne Heinrich)6 findet, erscheint beinahe zu offensichtlich – und doch spiegelt dies eine konsequente Vorgehensweise in der künstlerischen Arbeit von Ben Patterson. Ihm ging es in seiner Arbeit nie um Verschlüsselung oder geheime Botschaften für eine bildungsbürgerliche Elite. In seinem Werk legt er vielmehr mit seiner präzisen analytischen Vereinfachung scheinbar simplifizierend die Botschaften für jede/n verständlich und nachvollziehbar offen, enthebt den oft komplexen Inhalt seines scheinbar intellektuellen Sockels und bezieht einfachste Elemente der Alltagskultur bis hin zum materiellen Kitsch in seine Arbeit strategisch ein. So finden sich Fundstücke des Alltäglichen und Kuriositäten, häufig aus dem vermeintlich „kindlichen“ Spielzeugkontext, sowie aus Second Hand oder 1-Euro-/Dollar-Shops, als Zitat in seinem performativen, bildnerischen und kompositorischen Werk. Den Zugang zur elitären verkopften Kunst vereinfacht er und unnötige Barrieren werden humorvoll abgebaut. Wie sehr er manchmal in slapstickhaften Gesten sein großes und tiefes, im wahrsten Sinne des Wortes bibliothekarisches Wissen integrierte, offenbart sich erst in einer zweiten Phase der Rezeption und genauerer Beschäftigung, während der gewitzte, humorvolle Genuss stets die erste Ebene der Betrachtung seiner künstlerischen Arbeiten bestimmt, mit der er als passionierter Angler sein Publikum ködert.

Doch zurück zum Froschkönig und seiner, wie stets im Märchen, namenlosen Prinzessin, deren goldene Kugel als Sinnbild für die Sonne interpretiert wird und um die sich die Geschehnisse zentrieren und zu bewegen beginnen. Gelangweilt, und diese Parallelität zur Dekadenz des Gottes Dionysos verbinden die elitären Welten der beiden literarischen Bezüge mit der Jetztzeit, wirft sie nachlässig ihr liebstes Spielzeug in einen tiefen Brunnen, dem symbolhaften Eingang zum Unterbewusstsein? Diesem wichtigen Ort und seiner Faszination und Hochachtung dafür setzte Ben Patterson mit auf der ganzen Welt verteilten Zugängen zu seinem Museum For The Subconscious7 ein Denkmal.

Ähnlich wie in Pattersons Serie The Three Operas8 kondensiert und beschleunigt die Prinzessin mit ihrer Tat und deren Folgen ihren eigenen Reifungsprozess, in dessen Verlauf sie die goldenen Tage und die Unschuld ihrer Kindheit hinter sich lässt.9 Ihr königlicher Vater mahnt schließlich, das einmal gegebene Versprechen zu halten, dessen Einlösung ihr jedoch derart widerstrebt, dass sie schließlich den Frosch voller Ekel an die Wand wirft. – PLATSCH – Die Entzauberung erlöst nicht nur die Prinzessin von ihrem leichtfertig gegebenen Versprechen, sondern auch den Prinzen aus seinem Bann – erst mit dem Bewusstwerden und Aufdecken von Ängsten und Verdrängungen ist der (negative) Zauber gebrochen und es kann die Heilung beginnen, ein aktiver Prozess, der auch in der Psychoanalyse seine Anwendung findet.10

Die durch die Wandlung im Nachklang des Märchens ausgelöste Sprengung der drei eisernen, einschnürenden Bänder um die Brust des Heinrichs – diese dreifache symbolhafte Befreiung, das endlich „wieder Atmen können“, verblüfft in seiner Parallelität zu den Auflagen der Troika, der Kooperation von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission und deren Verhandlungen über die Kreditprogramme während der griechischen Staatsschuldenkrise.

Noch mit einem Preisetikett in griechischen Drachmen ausgezeichnet fand sich die englische Ausgabe und Kommentierung von Aristophanes Die Frösche aus dem Jahr 1964 (Pinguin Classics, David Barret) in der Hausbibliothek Ben Pattersons. In der sehr populären antiken Komödie, die unmittelbar vor der Kapitulation Athens, einer absoluten politischen Notsituation des bis dahin erfolgreichen Staates, im Athener Dionysischen Theater am Fuße der Akropolis uraufgeführt wurde, dringt Dionysos, Gott für Wein, Weib (und Gesang) – Tugenden, die auch von den Fluxus Künstlern nicht verachtet wurden – in die Unterwelt ein. Er wird dort bei seiner Mission, seinen jüngst verstorbenen Lieblingsdichter Euripides in die Oberwelt zurückzuholen, um endlich seine große Langeweile durch die ihm nun fehlende geliebte Dichtkunst zu vertreiben, unerwartet zum Schiedsrichter eines Wettstreits der Künste zwischen Euripides, der Freidenkertum und Romantik vertritt, und Aischylos, dem eher konservativen Dichter als Repräsentant traditioneller Werte und Moral.

Auf seinem Weg in den Hades muss Dionysos zuvor den Fluss Styx überqueren, an dessen Ufer trifft er auf den titelgebenden Chor der Frösche. Sie verspotten ihn, und damit das in Aristophanes Charakterisierung an Dekadenz und Werteverfall leidende Athener Volk, mit ihrem Gesang: „Brekekekéx koax koax“.

Dem zeitgenössischen Theater wurde im antiken Griechenland intensivste Aufmerksamkeit zuteil. Vor allem in den Komödien wagten es die Dichter, die Entscheidungsträger des Staates wegen Korrumpierbarkeit, Fehleinschätzungen und überzogenem Geltungszwang mit beißender Kritik vorzuführen. Um dem Festivalcharakter der jährlich im Monatsübergang zwischen März und April ausgerichteten Dionysien beizuwohnen, reisten die Besucher bis aus den Vasallenstaaten an.

Die Themen und Konflikte der Zeit wurden in mehr als 1.000 Dramen und 500 Komödien direkt am Fuße des politischen Machtzentrums der Akropolis im 17.000 Besucher fassenden Dionysos-Theater zur Aufführung gebracht. Als Sieger ging in dem Jahr der Uraufführung Aristophanes’ Komödie Die Frösche hervor, entwickelt aus dem schon eingangs erwähnten sozio-politischen Hintergrund des unmittelbar bevorstehenden Sieges Spartas über den von Athen geführten Attischen Seebund und der damit verbundenen Demütigung der Athener und des attischen Volkes.11 Mit der in Griechenland bis heute sehr präsenten, „amüsant-witzigen“ Komödie wird nicht nur die Rückbesinnung auf traditionelle, konservative und moralische Werte in Zeiten der Krise thematisiert, sondern auch ein überraschend zeitgenössischer und politischer Blickwinkel mit faszinierenden Referenzen zu Europa und seiner jüngsten Entwicklung, der Weltpolitik sowie zu aktuellen Themen der Gesellschaft auf die Bühne der zeitgenössischen Kunst gebracht. Humor als Waffe des Wehrlosen ist eine auch von Ben Patterson in seinem eigenen, ereignisreichen Leben genutzte Form des aktiven Widerstandes. Die Beziehung zwischen der intellektuellen Präzision und der fast schon kindlichen Verspieltheit, die seine Arbeit prägt, in Kombination mit der Weisheit, dass man „mehr Fliegen mit Honig als mit Essig fängt“, führt er selbst auf seine afroamerikanischen Wurzeln zurück. In seinem Selbstinterview sagt er 2001: „Ich persönlich bevorzuge es, bei der Schaffung von Kunst (...) Humor anzuwenden, da man dadurch suberversive Ideen vermitteln kann, ohne großes Misstrauen oder Widerstand hervorzurufen. wir Schwarzen benutzen den satirischen Humor als Form des Protestes.12 Mit Humor gelingt es Diskriminierten, sich ein letztes Stückchen Ehre zu erhalten.

Learning from Athens“ als Arbeitstitel der documenta 14 bezieht sich einerseits auf Traditionen und fundamentale menschliche Werte, bricht dabei aber gleichzeitig manche andere bequeme und auch hegemonische Tradition Europas. „Wir müssen wieder Verantwortung übernehmen und wie politische Subjekte handeln, anstatt das einfach den gewählten Vertretern zu überlassen“ sagte Adam Szymczyk als Fazit seiner Arbeit bei der Eröffnung der documenta 14 in Athen und ist mit seinem Postulat verblüffend eng an den Aussagen Ben Pattersons. Bereits 1964 schrieb er: „Ich habe von einem Erlebenden (nicht einem passiven Betrachter oder Zuhörer) verlangt, als Aufführender, Interpret und gar als Schöpfer seine Person im Ereignis einzusetzen. Ich habe mich nicht damit beschäftigt, Netzhäute oder Trommelfelle zu stimulieren, sondern mir vorgenommen, die für integrierendes Erleben zuständige(n) Fähigkeit(en) anzusprechen.13

Am I or am I not responsible for this project?“ oder, um mit einer von Pattersons letzten Aufzeichnungen auf seinem Mobiltelefon zu schließen: „okay out“.

Elke Gruhn

 



Ben Patterson - Pond Performance, Weston Art Gallery 2015, Cincinnati, USA
 

Frogtastic THANK YOU /

Ioanna Alexandri, Fuat Arslan, Maria Rebecca Ballestra, Ute & Michael Berger, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Luigi Bonotto, Gürkan Buyurucu, Stelios Chaziktoris, Daniele Crippa, Eirini & Melina Charalampous, Kerstin David, Deutschland Radio Berlin, Björn Encke, Sigrid Fischer, Antonio Flamminio, Fondazione Morra – Naples, Stefan Fricke, Frogs & Friends e.V., Marcus Gammel, Edda & Enzo Gazzerro, Nanni Ghio, Götz Göbel, Axel & Keno Graumann, Antonio De Gregori, Hans-Jürgen P. Groth, Elke Gruhn, Caterina Gualco, Tilman Hatje, Hessischer Rundfunk, Niklas Holzberg, Helena S. Hungria, Areti Katraki, Christina & Jürgen Kelter, Die Kinder: Ahmad, Alan, Julian, Lina, Neriman, Semir, Tuana, Yaghmur, Evelyn König, Elfi Kreiter, Gisela Krey, Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden, Helge Lingen, Ann Noël Williams, Gino di Maggio, Giuseppe Martucciello, Nassauischer Kunstverein Wiesbaden e.V. – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Inge Naumann, Julia Elizabeth Neil, Patterson Family, Christoph Platz, POLYPHONIA BERLIN - deutsch-griechischer Chor e.V. (the singers: Martin Hüttel, Gerold Hens, Johanna von Kuczkowski, Irmela Splett-Neumann, Barbara Klinker, Sabine Bode, Christiane Henke, Luzie Nierle, Valentina Dimitriadu-Karagiannis, Fanny Marina Papoulia, Elpiniki Reister, Claudia Heidenreich, Alfred Neugebauer, Theo Sarafis Moschos, Chrysostomos Papadimitriou, Iannis Karanlik, Joachim Kreimer de Fries, Pigi Mormouri, Stephanie Busse), Christine Romeiser-Paterok, Erika Rosenkranz, Monika Szewczyk, Renate Seidler, Christel Schüppenhauer, Bernd Schultheis, Kerstin Skrobanek, Ulla Sommerlad, Anne & Klaus Spätgens, Reinhard Spiegel, Giorgio Teglio, Nicola Trentalance, Wolfgang Träger, Immo Tetzlaff, Benny Trapp, Gerrit von Velsen, Ben Vautier, Darius Vöhringer, Peter Wenzel, Heiko Werning

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Benjamin Patterson
When Elephants Fight, It Is The Frogs That Suffer. A Sonic Graffiti (2016-17)


8 Ebenen variabler Soundkonstellationen (24-Kanal Random-
Access-Playback-Gerät) fortlaufend

Realisierung Bernd Schultheis in Kooperation mit dem
Nassauischen Kunstverein Wiesbaden /
E. Gruhn & B. Patterson, 2017

Commissioned by Documenta 14 / Adam Szymczyk
16-Kanal-Klangfeld mit (16 getarnte Lautsprechern)
im Garten des Byzantinisch und Christlichen Museum, Athen

24-Kanal-Klangfeld mit (24 getarnte Lautsprechern)
Küchengraben der Karlsaue, Kassel

Edition /
HiRes PCM 48kHz, 24bit sound file / binaural earphone edition

 

Standort Kassel /


 

Standort Athen /


[1] Benjamin Patterson, New York 14.November 1964, in: Becker und Vostell, Happenings, Fluxus, Pop Art. Benjamin Patterson, Bekenntnis, S. Hamburg, 1965, S. 241.

[2] „symphony of croaking frogs“, Ben Patterson in einer Email am 22. März 2016 an Adam Szymczyk.

[3] Adam Szymczyk in einer Email am 23. März 2016 an Ben Patterson.[4] BBC News, 4. Mai 2015: Greeks see cash run out in undeclared default. By Giorgos Christides, Thessaloniki, Greece www.bbc.com/news/world-europe-32580919 Atlantic Community.Org:, 29. .Januar 2015: The Greek Moment: Facing the Reality. By Valbona Zeneli and Joseph Vann. www.atlantic-community.org/-/the-greek-moment-facing-the-reality (beide abgerufen am 21. April 2017).

[5] Vgl. Anm. 2.

[6] In Ben Pattersons Bibliothek fand sich das Exemplar: Die schönsten Kindermärchen der Brüder Grimm, Stuttgart (K. Thienemanns Verlag), o.J., (mit Widmung von 1937).

[7] Der erste öffentliche Eingang zum Museum For The Subconscious wurde am 1. Dezember 1996 an einer Felswand eines kleinen Berges in Okandukaseibe, Namibia, in Form einer Steinplakette zementiert. Im Lauf der Zeit entstanden weitere Eingänge am Jerusalem-Strand von Tel Aviv in Israel (1999), in einem Kondor-Nest auf einem Berg in der Provinz Salta, Argentinien (2010), an der Grundstücksgrenze zwischen dem Contemporary Arts Museum Houston und dem The Jung Center of Houston (2010), in Form eines Gullideckels vor dem Nassauischen Kunstverein Wiesbaden (2012), sowie zuletzt in Blois und Tokyo (beide 2014).

[8] The Three Operas: Carmen (1990, Bizet), Madame Butterfly (1993, Puccini) und Tristan and Isolde (1961-93, Wagner). „I do a Reader's Digest of the things, in which I save only the best parts†”a summation of the music and then a theatrical scenario underneath or on top. (...) You barely hear the music because you know it so well; it's like wallpaper. My digesting and transformation of the works open your ears again to the original music.“ Zitiert nach www.interviewmagazine.com/art/benjamin-patterson-performa-13/ 8. Mai 2017.

[9] Vgl. hierzu auch die Interpretation des Märchenphilologen Lutz Röhrich. Röhrich, Lutz: Froschkönig. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 5. S. 410–424. Berlin, New York, 1987.

[10] Vgl. Helga Deppermann: Das Märchen als therapeutisches Medium in der psychosozialen Arbeit. LIT Verlag, Münster 2003, S. 38.

[11] Niklas Holzberg (Hrsg.): Aristophanes, Die Frösche. Stuttgart (Reclam), 2011, S. 99-110.

[12] Ben Patterson: Ich bin froh, daß Sie mir diese Frage gestellt haben. In: Kunstforum International, Bd. 115, September/Oktober 1991. S. 166–77, S. 176.

[13] Vgl. Anm. 1.