Bereits seit einigen Jahren setzt sich Daniela Ortiz vermehrt mit dem Thema der Kindheit auseinander, angefangen mit einer Kritik an den diskriminierenden symbolischen Systemen des künstlerischen Erbes. Mit Die Kinder der Kommunisten (2023) fokussiert Daniela Ortiz auf eine wenig bekannte Seite der revolutionären Geschichte des 20. Jahrhunderts: die aus marxistischen Kontexten organisierten Initiativen und Schutznetze zur Unterstützung von Kindern. Es sind Geschichten, die sich vom Kontext und Umfang unterscheiden, aber immer einen gemeinsamen Nenner haben: die Verteidigung und der Schutz von Kindern im Namen der internationalistischen Solidarität, der Rettung der Kinder von Militanten, der Suche nach vermissten Enkeln und der Aufnahme von Flüchtlingen, die vor Bürgerkrieg oder nuklearer Katastrophe fliehen.

Das deutsche Wort Geschichte hat ebenso wie das spanische Wort historia eine doppelte Bedeutung, die im lateinischen Sprachraum in res gestae (das, was geschehen ist, das Ereignis) und historia rerum gestarum (die Erzählung eines Ereignisses) aufgeteilt wurde. Indem sie diese lexikalische Zweideutigkeit erforscht, hat Ortiz wiederholt koloniale und rassifizierte historische Erzählungen dekonstruiert und neu interpretiert. Die Reflexion über die Beziehung zwischen Geschichte und Erinnerung findet bei ihr nicht nur auf der symbolischen Ebene statt. Der kreative Prozess wird als Wiederherstellung und Wiederbelebung der direkten Aktionen aktiviert.

In ihren künstlerischen Arbeiten nutzt Daniela Ortiz unterschiedlichste häufig auch folkloristisch anmutende Medien oder auch populäre Artefakte. Für Die Kinder der Kommunisten nutzt sie ein Spielzeug, wobei sie sich hier konkret für ein kulturelles Objekt mit transnationalen Ursprüngen entschieden hat, und zu einem der Schlüsselsymbole des Heimatlandes des authentischen Sozialismus wurde: die Matrjoschka. Die berühmte Holzpuppe, die eine weibliche Figur in traditioneller Kleidung darstellt, ist trotz ihrer bewusst antiquierten Ikonografie eine Erbin des älteren japanischen Kokeshi und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen einer "Erziehungswerkstätten für Kinder" geschaffen, die im Abramzewo-Kreis mit dem Ziel gegründet wurden, die Volkskunst zu fördern: Die Matrjoschka-Puppe wurde 1900 auf der Weltausstellung in Paris ausgestellt und wurde bald zu einem der ikonischsten Elemente der russischen Folklore. Indem Daniela Ortiz kulturelle Ebenen und Quellen unterschiedlicher Herkunft vermischt und variiert verdeutlicht sie in ihrer die künstlerische Aktion ihre Reflexion über das Artefakt als Produkt eines bestimmten politischen und wirtschaftlichen Systems selbst: ein Détournement, welches eine Bedeutungsverschiebung auslöst und die ursprüngliche Perspektive verändert. Sie nimmt die die genealogische Struktur der Puppe auf, aber überführt ihre Matrjoschka in Konnotationen einer durch Bilder erzählten Geschichte, deren Episoden eine Sequenz bilden, die, während sie sich allmählich enträtseln, Charaktere und Ereignisse Schritt für Schritt veranschaulicht. Die Matrjoschkas von Daniela Ortiz zeigen, wie sich hinter einer Geschichte, die scheinbar mit einer einzigen Figur, einem einzigen Protagonisten verbunden ist, in Wirklichkeit ein komplexes Ereignis von kollektiver politischer Relevanz verbirgt, bei dem der Prozess der ikonografischen Konstruktion die handwerkliche Dimension der Forschung und der historischen Erzählung hervorruft. Im Mittelpunkt der symbolischen Enthüllung stehen Geschichten von realen und oft schmerzhaften Begebenheiten. Daniela Ortiz offenbart in ihren Analysen die Bedeutung politischer Organisationen für den Schutz und die Versorgung von Kindern kommunistischer Kämpfer. Dabei wird die Rolle der Regierungen, Komitees und Interessengruppen von ihr als eine Form des antifaschistischen Widerstands gegen die geplante Vernichtung von Frauen, Männern und Ideen verstanden. Ein Blick, heute mehr noch als damals, zum Nachdenken über den Wert des Opfers der jungen Revolutionäre.

 

Daniela Ortiz, Die Kinder der Kommunisten (Detail), 2023

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