Sie war rasant, widersprüchlich, schnelllebig und provokant: die Kunst der letzten einhundert Jahre. Doch völlig unbeeindruckt von allen Schimären des Kulturbetriebs hält um die Jahrhundertwende ein Phänomen Einzug in die bürgerliche Wohnung und behauptet sich dort beharrlich bis heute: das Schlafzimmerbild. Der Nassauische Kunstverein nimmt sich nun dieses vernachlässigten Genres der Kunstgeschichte an und präsentiert der verblüfften Wiesbadener Szene ein Bonmot der besonderen Art: Zum ersten Mal zeigt die 150 Jahre alte Kulturinstitution Unkunst aus der Sammlung ihres langjährigen Vorsitzenden Dr. Dieter Weber: Am Sonntag, 15. März 1998 beginnt um 11 Uhr der Elfenreigen mit der Eröffnung der Ausstellung "Das Schlafzimmerbild". Bis zum 26. April sind die röhrenden Hirsche, Elfen, Schwanennachen, Schutzengel und Zigeunerinnen dann zu sehen.

Die Geburtsstunde des Schlafzimmerbildes schlug um die Jahrhundertwende, als zwar das Selbstbewusstsein des Bürgertums gewachsen war, aber nicht unbedingt auch die Raumhöhe der Wohnungen, die man sich leisten konnte: Da passte das schlappe Handtuchformat gerade mal zwischen Sofa und Zimmerdecke. Und viel Geld musste man für diese Kunst auch nicht aufwenden: Durch die Erfindung des lithografischen Druckverfahrens hatte Aloys Senefelder das Renommierobjekt für den kleinen Geldbeutel erschwinglich gemacht. Im Laufe der Zeit wurden die immerhin noch hochwertigen Chromolithografien allerdings durch Offsetdrucke ersetzt.

Nur wenige Maler und Kunstverlage beherrschten den Markt. An erster Stelle stand der Wiener Elfen- und Nymphenmaler Hans Zatzka – genannt "Zabateri" - ein später Epigone des österreichischen Schwulstmalers Hans Markart. Der Andachtsbilderproduktion hingegen widmete sich Johann Untersberger - Deckname: "Giovanni". Dem idyllischen Landschaftsbild wiederum galt das Interesse des wegen Böcklin-Fälschungen verurteilten Schweizers Hermann Rüdisühli. Kunstverlage in Frankfurt, Berlin und Dresden standen in einem ruinösen Wettbewerb, um den ständigen Bedarf an wohlfeilem, gleich bleibend süßlichem Wandschmuck zu decken: 27 Millionen Bilder wurden allein nach 1945 aus Dresden "gerettet". In den Wirtschaftswunderzeiten mutierten dann Elfen zu Zigeunerinnen, wurde der Schwanennachen zum Fischkutter und der röhrende Hirsch zum galoppierenden Pferd. So überlebte das Leinwand-Grauen auf Billigpapier auch das Inferno des 2. Weltkrieges.

Das Schlafzimmerbild / Die "Sammlung Weber" im Nassauischen Kunstverein

15. März 1998 - 26. April 1998

 

kuratiert von Dieter Weber