Wiesbadener Schleifen:

Knatternd erreicht Fluxus zu seinem 50ten Geburtstag den Vortragssaal im Museum Wiesbaden und findet in Form der Wiederaufführung seiner eigenen Geburt zu einem Zustand allervitalster Kaputtheit. Der jüngst renovierte Vortragssaal mit seinen gediegenen, cremeweißen Ledersesseln hält schon mal einen Flügel unter dem Schonbezug für die Fluxgala bereit (oder nimmt man besser ein ausrangiertes Modell, was dann keinem weh tut?). Als zeithistorisches Schmankerl wird mantraartig der Bericht des Hessischen Rundfunks aus dem Jahr 1962 an den verschiedenen Schauorten und beteiligten Institutionen des Wiesbadener Jubiläums geloopt. Was haben wir nicht gelacht, damals, als „die Irren [...] los“ waren, also lachen wir heute einfach nochmals mit. Oder vielmehr lachen wir in sicherer Distanz über diejenigen, die damals nicht kapiert haben, dass die Reliquien 50 Jahre später museumswürdig sind.

Wie Labels funktionieren die dynamischen und actionreichen Bilder der damaligen Aufführungen – Dick Higgins wirft Papier ins Publikum, Nam June Paik kippt sich einen Eimer Wasser über den Kopf – und erfüllen, etwas unentschieden eingesetzt im Außenraum, bestens ihre Funktion des Stadtmarketings. So fährt nun Dick Higgins ikonischer Papierwurf, unterschrieben mit Ben Vautiers „Art is as Art comes“, als städtischer Fluxuslinienbus die Schlaufe entlang. Doch der Sommer geht weiter, jetzt mit intensiverem Farbverlauf und einem Bild von Nam June Paik und seiner mit dem Haarschopf gezeichneten Kalligraphie, die um ein Zitat des Kulturpreisträgers 2012 und Fluxus-Godfather Benjamin Patterson bereichert wird: „In the beginning there was Fluxus (and no copyright). Thus: In the end there will be Fluxus (and no copyright)“ Nach der von René Block kuratierten Trilogie (1982 / 1992 / 2002) stellt sich Wiesbaden 2012, mit dem goldenen Jubiläum, „der schwierigsten Aufgaben der Kunstvermittlung“: Fluxus als eine „Ausstellung zu präsentieren“, jedoch an verschiedenen Orten in der Stadt, mit auf die jeweiligen Institutionen spezifizierter Ausrichtung. „Fluxus ist als spontan entstehendes Ereignis auf den Augenblick des Seins angelegt und akzeptiert seine eigene Vergänglichkeit. Seine Aktionen und Performances sperren sich gegen die Wiederbelebung. Die zeitliche Distanz zu den Ereignissen ist beinahe nicht zu überwinden.“, so schreibt Ursula Zeller im Textbeitrag zum Katalog der Fluxus-Sammlung der IfA. 

Symbolträchtig fällt 2012 auch die fünfte Vergabe des Stipendiums „Follow Fluxus – Fluxus und die Folgen“ mit dem 50. Jubiläum der Internationalen Fluxus-Festspiele Neuester Musik zusammen, und so wird das Wiesbadener Ereignis und seine Vermittlung zum Ausgangspunkt des Arbeitsaufenthalts und der daran anschließenden Ausstellung von Stefan Burger (*1977, Müllheim-Baden). Auf der Suche nach den Gerinnseln des zelebrierten Themas dirigiert er unseren Blick mittels fotografischer Einstellung und Methodik und entwickelt aus der Perspektive eines Beobachters ein raum- und  kontextbezogenes Environment. In der Stadt verteilte, mantraartige Repetitionen ikonenhafter Motive dichtet er in einer konzentrierten und klaustrophobisch engen Ausstellungssituation ab und fokussiert auf die Frage: Was ist zu tun mit dem eingekochten Konzentrat? 
 

Stefan Burger (*1977 in Müllheim / Baden) ist Preisträger des Stipendiums Follow Fluxus – Fluxus und die Folgen, das vom Nassauischen Kunstverein Wiesbaden und der Landeshauptstadt Wiesbaden seit 2008 jährlich vergeben wird. Er lebt und arbeitet in Zürich und wird von der Galerie Freymond-Guth Fine Arts, Zürich vertreten.

Abb.: Stefan Burger: Ohne Titel, 2012. © Stefan Burger
 

 

Stefan Burger: Ohne Titel, 2012. © Stefan Burger.

Follow Fluxus 2012 / Stefan Burger FLU-FLU-FLU-...

01. September 2012 - 26. Mai 2013

 

Eröffnung am Samstag, 1. September 2012, 17 bis 20 Uhr