Im Lehrgebäude der Akademie rangierte die Landschaftsmalerei ganz unten, da sie anstelle von theoretisch ikonographischen Vorbedingungen schlicht dem real Sichtbaren folgen konnte. Innerhalb der Malerei ist sie ein relativ zeitloses Genre und im Vergleich mit anderen Gattungen eher von Kontinuität als von Wandlung geprägt.
Obwohl die Landschaftsmalerei die Natur abbildet, ist die Wiedergabe der Natur nicht ihr vorrangiges Ziel. Zunächst bringt sie den Bewußtseinszustand der jeweiligen Zeit gegenüber der Natur zum Ausdruck, reflektiert diese Anschauung, betrachtet sie kritisch und überträgt weiterleitend dieses Ergebnis auf die Zukunft. Zudem ist die Landschaftsmalerei aber auch der Versuch zwischen Natur und Menschen zu vermitteln, verbunden mit der utopisch anmutenden Absicht, eine verlorengegangene Einheit neu zu schaffen. So steht die Landschaftskunst für die Idee der Ganzheit, sie ist nicht Diagnose herrschender Zustände, sondern ein Plädoyer für ein gesellschaftliches Selbstverständnis, das sich nicht alleine auf Nützlichkeit und Quantität aufbaut, sondern das Rationale mit dem Irrationalem gleichberechtigt verbindet.
Die Stimmung einer konkreten Landschaft in freier künstlerischer Form löst Empfindungen beim Betrachter aus, die ihn den schöpferischen Prozeß der Natur erahnen lassen. Dem Betrachter wird seine eigene kurzweilige Position in der Gleichzeitigkeit von Bedrohung und Geborgenheit innerhalb der Unbegrenztheit des Kosmos vor Augen geführt. Idealisierende Landschaftsbilder sind das Gegenteil von traumverlorener, naiver Schwärmerei und "keineswegs eine friedvolle Eintönigkeit des Idyllischen, sondern konkreter Reflex eines sinnlich-geistigen Aktes der Selbstfindung." Da die dargestellte Landschaft nur das Bild, das sich der Mensch von der Natur macht, zeigen kann, spielt auch nicht die Natur sondern der Mensch die Hauptrolle in diesem Genre.
Marie Ruffert, Schülerin von Rudolf Schoofs und Franz Eggenschwiler, beschäftigt sich in Ihrer Malerei seit einem Reisestipendium 1985 ausschließlich mit dem Thema Landschaft. Sie sieht sich selbst in der Tradition der romantischen Landschaftsmaler, deren Ideale die Utopie einer wiederzugewinnenden Einheit von Körper und Geist, Mensch und Natur und die Vision einer mystischen Welteinheit oder des pantheistischen Kosmos waren. Schon die romantische Landschaft ist nicht der Gegenstand der Erkenntnis, sondern Erkenntnismittel zum Ich. Bereits Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich stellten die Forderung an den Maler, daß er nicht nur malen solle, was er vor sich sieht, sondern vor allem auch, was er in sich sieht.
Die Farbigkeit und das Licht- und Wolkenspiel in Marie Rufferts Bildern scheinen bekannt aus der impressionistischen "plein air " Malerei. Doch arbeitet sie, abgesehen von der kurzer Skizzenphase im Gelände, nicht unter freiem Himmel, sondern ausschließlich im Atelier in klassischer Technik, Ölfarbe auf Leinwand. Aus Erinnerungen, Gedanken und Intuition entsteht die Landschaft in ihrem Geist, der zuvor die Wirklichkeit manipuliert, indem er alle störenden Elemente wegläßt. Sie bildet damit bewußt einen Gegensatz zum Unschönen. Ästhetik hat Gültigkeit, Sehnsucht ist das grundsätzliche Thema, ähnlich wie es auch Gerhard Richter formuliert . Marie Ruffert bezieht diese Position nicht, um Tatsächliches zu negieren, sondern benutzt traditionelle Stilmittel, um das Verlustempfinden und gleichzeitig die Hoffnung auf eine neue Realität in der Zukunft zu verdeutlichen.
Über das äußere Erscheinungsbild der Natur, dem Schönen und Bekannten wird der Betrachter in die Welt des Inneren, des Unbekannten gesogen. Damit löst er sich aus seiner Isolation und er wird zum Teil des Ganzen.
Mit ihrer Anschauung stellt sich die Malerin kritisch dem noch herrschenden rational-technischen Kulturverständnis entgegen. Es ist "absurd an die Möglichkeit zu glauben, durch die Verstellung und Chiffrierung der Landschaft mit Formen unserer Konsumwelt störende bzw. bewußtseinserweiternde Reize auslösen zu können, denn eine gebrochene Sinnlichkeit läßt sich nicht nochmals mit den gleichen Mitteln brechen."
Während die frühen Arbeiten einen "Ausblick aus dem Fenster" boten, verfügen die jüngeren Arbeiten über einen immer stärker werdenden Sog, der Betrachter wird gebannt. Der Mensch und auch der spezifische Gegenstand fehlen in Marie Rufferts Landschaften, beides würde ablenken und ein Versinken in die Tiefe der Landschaft verhindern. Diese weiten, ungestörten Landschaften, wie sie uns die Malerin vorführt, gibt es nicht mehr in unserer realen Welt, sie spiegeln die menschliche Sehnsucht nach einem vielleicht verlorenem Paradies. Durch die Einsamkeit in den Bildern eröffnet sie aber gleichzeitig wieder einen Raum für den Betrachter, den Menschen, der sich dort wiederfindet mit dem tragischen Gefühl des Alleinseins, des All-eins-seins.
Der Horizont, die Grenze der menschlichen Wahrnehmung und die gleichzeitige Trennlinie des terrestrischen vom atmosphärischen, dem Unbegreifbaren, wird von der Künstlerin zunehmend tiefer angesetzt. Er eröffnet den Bildraum für den Himmel und das Licht. So auch in dem dreigeteilten, großzügig angelegten Panorama, das eine von flimmernder Sommerluft erfüllte Landschaft zeigt. Das sprühende Licht- und Energiefeld bricht mit den anderen Bildern der Ausstellung. Aus der gelben warmen Farbigkeit des FELDZUGs entwickelt sich im überbetonten Farbenspiel der Wolken das Trügerische, der Himmel wird zu einem aggressiven Grüngelb. Diese einfachste und flachste Natur, ist ein braches Feld. Die Darstellung von Brachland führt zurück auf die Fragen: Wie erobert die Natur sich ihr Terrain zurück?
Was bedeutet es, die Natur zu beschädigen, zu bebauen oder eben auch brach liegen zu lassen? Das dargestellte Feld befindet sich in unmittelbarer Nähe des Ateliers und steht somit in enger Verbindung zur täglichen Umgebung der Künstlerin: geleitet vom konstanten Gedanken, die vertraute, wieder erkennbare Landschaft des Niederrhein zu malen, wo das Auge den fernen leuchtenden Horizont erreicht und die Seele zu empfinden versucht, was Unendlichkeit im endlichen Bildraum und im eigenen Dasein bedeutet.
Gerne versetzt die Malerin den Betrachter in eine erhöhte Position, die ihm den Überblick auf seine reale Welt ermöglicht. Dabei wird die Erde, das Reale immer kleiner und der Himmel, das Atmosphärische und Unbegreifbare nimmt einen immer weiteren Raum ein. Gleichzeitig spielt sie mit dem Nah und Fern. Die in der menschlichen Wahrnehmung begründete Trennlinie des Horizontes weicht mehr und mehr auf, verschwindet im Dunst (Nachtflug, Steigen und Fallen I-III) und ist schließlich in den Nahaufnahmen (Wasserlauf, Lautes Wasser) nicht mehr vorhanden. Hier wird die Aufmerksamkeit auf das Detail gelenkt.
Je länger das Auge auf dem Meer der Farben ruht, desto mehr entsteht der Eindruck einer abstrakten Malerei. Bäume, Hecken und andere landschaftsunterteilende Merkmale lösen sich wieder zu reinen Farbflächen auf. Visiert das Auge diese Flächen der fein abgestuften, rhythmisch auf der zum Teil zuvor plastisch strukturierten Leinwand, fällt es schwer sich von der Illusion und Weite der Landschaft tragen zu lassen, denn gleichzeitig wird der Betrachter gefordert zu sich selbst zurückzukehren.
Marie Rufferts Beschäftigung mit dem Thema Wasser innerhalb ihrer Landschaftsmalerei fand seinen Ausgang bereits zu Beginn der 90er Jahre in Folge der Rezeption eines Buches, das die beängstigenden aber auch erholsamen Momente der Entdeckung der Küste im 19.Jahrhundert beschrieb. Es folgt eine intensive Auseinandersetzung mit der Genesis-Thematik. In dem Bild MEERESLUST spiegelt sich die Auseinandersetzung mit der Kraft des Wassers, aber auch die Urangst des Menschen, von dem Wasser, der Unendlichkeit, verschlungen zu werden. Wasser, im wilden auf und ab, ist hier dargestellt als gleichzeitig lebensspendend und todbringende Naturgewalt. Fast 10 Jahre später knüpft die Künstlerin an das Thema wieder an und beginnt zunächst mit der Erfassung weiter Küstenstreifen und Strandansichten: der Strand als die niedrigste Stelle des Landes, unmittelbar angrenzend an das Wasser.
Das Rauschen des Meeres bei den niederländischen Küstenlandschaften erinnert mit seinem gleichmäßigen Rhythmus an das Atmen und den Herzschlag. In seiner Weite spiegelt das Meer gleichzeitig Unendlichkeit . Leonardo da Vinci beschreibt in seinem "Wasserbuch" die Bewegungen des Wassers als einen immer fortwährenden Kreislauf: Das Meer flieht durch den Prozeß der Verdunstung Richtung Himmel und kehrt durch die Wolken und den Regen zurück zur Erde . Gleichzeitig bemerkt er, das Wasser sich in dem ständigen Widerspruch zwischen Steigen und Fallen befindet:
"In immerwährender Bewegung wandeln die Wasser aus den tiefsten Tiefen der Meere zu den höchsten Gipfeln der Berge, wobei sie die Natur des Schweren mißachten;..." Die Quintessenz aus dieser gleichzeitigen Auf- und Abwärtsbewegung findet sich in der jüngsten Arbeit der Künstlerin STEIGEN UND FALLEN I-III. Erstmalig bedient sie sich, in Anlehnung an asiatische Landschaftsdarstellungen, des Hochformats. Rot, gelb und blau, die Untermalung der drei Landschaften in den Grundfarben findet sich nur noch andeutungsweise in der weich und wattigen Darstellung von Gebirgszügen zu verschiedenen Tageszeiten. Die Landschaft kommt aus der Entfernung, die durch Nebel und Dunstschleier sichtbar gemacht wird, auf den Betrachter zu. Die Umgebung erscheint mystisch.
Im NACHTFLUG siegt das Atmosphärische, indem es den gesamten Bildraum einnimmt. Dargestellt ist eine Wolkenlandschaft, die nur vereinzelt Licht- und Landflecken durch Dunst und Dunkelheit erahnen läßt. Jede eindeutige Zuordnung des Gesehenen wird verweigert, statt dessen bietet sich der Blick in den weiten Raum, wie er unendlich vorhanden ist und darauf wartet, wahrgenommen zu werden. Sowohl Thema als auch Technik der Arbeit Marie Rufferts behaftet ein gewisser Anachronismus. Ohne Verbindung zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung gerät der Versuch, ein verlorengegangenes Terrain neu zu beleben, in den Verdacht des Idyllischen bzw. der Regression. Die Malerin widersetzt sich jedoch bewußt den schnellen Bilderfolgen, wie sie aus den "Neuen Medien", der Video und Computerkunst, bekannt sind. Sie lädt den Betrachter mit ihren weiten, tiefen Blicken in eine vielleicht doch noch heile, eine zu rettende oder gar eine neu zu schaffende Welt ein, einem Aufruf Joseph Beuys folgend, der die Wende zu einer neuen Innerlichkeit und Inhaltlichkeit fordert, die über die Kunst hinaus auf das Leben auf eine Erneuerung der Gesellschaft gerichtet ist.
Die Rationalität der Wissenschaft und die zunehmende Emotionslosigkeit durch die uns abstumpfenden Berichte der Massenmedien haben einen Individualismus gefördert, der die Grenzen seiner Überlebbarkeit bereits überschritten hat. Statt weiterhin in kurzweilige individuelle oder kollektive virtuelle Welten abzutauchen, bietet die Künstlerin eine zukunftsorientierte Position an: der Mensch als ein Teil eines großen Ganzen. Die tägliche Ausnutzung der Natur durch den Menschen hat Resultate gezeigt, die die Lebensgrundlage der kommenden Generationen bedrohen.
Anregungen für die jeweilige Landschaft erhält Marie Ruffert in ihrer realen Umgebung, dem flachen, weite Blicke ermöglichenden, Niederrhein und auf Reisen, dem bewußten Standortwechsel um die Sehweise immer neu zu verändern. Ihr gelingt es, in der Erinnerung alle die störenden Elemente, die dem gewöhnlichen Auge den Genuß an der realen Landschaft verstellen, auszuklammern. Festgehalten, sozusagen als eine Momentaufnahme, wird der Zustand wie er sein könnte in dem realen Hier und Jetzt. Das Bild wird zum Ausdruck ihrer Ergriffenheit und ist die Aufforderung, die eigene Umgebung wieder zu sehen, wahrzunehmen, und sich nicht nur von künstlichen Reizen berieseln und einnehmen zu lassen. Es ist eine Aufforderung, den eigenen Standort zu finden. Dabei ist die Kunst der Alltäglichkeit und der Aggressivität der tatsächlichen Welt enthoben".